Mit der Body Positivity-Bewegung zeigen Frauen weltweit, dass jeder Körper schön und einzigartig ist, egal welcher Größe, welchen Alters oder welcher Besonderheit. Doch zeigt dieses Engagement Wirkung? Werden verschiedene Körperformen mehr repräsentiert? Wie viele unterschiedliche Models, sei es die Verschiedenheit ihrer Hautfarbe, ihrer Körpermaße, ihres Alters oder ob Transgender oder nicht, flitzten in dieser Saison über die wichtigsten Laufstege der Modebranche oder schmückten die Werbekampagnen der namhaftesten Magazine? Seit der letzten Fashion Week in New York ist eins klar, die Modeindustrie wird immer politscher, setzt immer größere Statements – und das auch in Hinblick auf Body Positivity.
Mit dem Diversity Report veröffentlicht die US-Seite The Fashion Spot zu jeder Saison einen Bericht, wie vielfältig die Laufstege und Magazine weltweit sind. Wir wollten mehr über die Diversität der Modebranche herausfinden und sind dieser Frage auf die Spur gegangen.
Langsam zeigt sich in der Modeindustrie ein Wandel. Mit kleinen Schritten nähert man sich einem unliebsamen Thema. Nämlich das der großen Größen. Jahrelang war es verpönt. Kleider wurden nur in den kleinsten Größen geschneidert und die Models mussten einfach hineinpassen. Wie schockierend waren die Bilder der Magermodels, die für die beliebtesten Designer dieser Welt über den Laufsteg stöckelten. Und ganz langsam beginnen die Designer zu merken, dass das nicht der Frau von Welt entspricht.
Bedenken wir einmal, dass die gängige Konfektionsgröße in Deutschland nicht Größe 32 ist, sondern 42/44, wird uns klar, dass die Mode, die auf den Laufstegen und in Hochglanzmagazinen gezeigt wird, nicht alltagstauglich ist. Die Sports Illustraded lichtete vor einiger Zeit Plus Size-Model Ashley Graham ab und löste damit die Diskussion um ein falsches Schönheitsideal aus, das unter anderem von der Modeindustrie transportiert wird. Dennoch wurden für Printmedien nur 10 von 457 Castings für Plus Size-Models ausgeschrieben – gerade mal 2,2 Prozent.
In New York erlebte die Plus Size-Szene im Herbst ihren vorläufigen Höhepunkt mit 26 Models jenseits der Größe 32. In Europa liefen gerade mal zwei Frauen mit Übergröße in Mailand und zwei in Paris über den Laufsteg. Das brachte insgesamt 30 Plus Size-Models in insgesamt 11 Shows auf den Catwalk. Ein Fortschritt, keine Frage und dennoch ein Trauerspiel.
In Mailand verdanken wir diesen Fortschritt zwei Designern – Domenico Dolce und Stefano Gabbana. Sie schickten 120 weibliche Profi- und Anfängermodels verschiedenster Körperformen, Ethnien und Altersgruppen auf den Laufsteg. Gabbana erklärte der Vogue.com, dass der Charakter des Menschen das Wichtigste ist und man sich selbst akzeptieren muss, so wie man ist. Doch nicht nur Dolce & Gabbana packen das Größenproblem am Schopf: Emma Breschi spielte in Andreas Kronthalers Kollektion für Vivienne Westwood eine tragende Rolle. Und sie trägt Größe 42 bei einer Größe von 1,72 m.
Fashion Spot fand heraus, dass die Modemagazine viel häufiger Models mit unterschiedlichen Hautfarben ablichten, als sie auf den Fashion Shows dieser Welt zu sehen sind. Außerdem überstieg die Zahl der nicht-weißen Models erstmals die 30 Prozent-Marke. Die Frühjahrskollektionen wurden von Models präsentiert, von denen 24,5 Prozent nicht hellhäutig waren. Im Herbst 2017 waren es schon 30,4 Prozent.
Aber nicht nur die Hautfarbe spielt hier eine wichtige Rolle. Seit diesem Frühjahr sehen wir immer mehr Models mit Kopftuch. Dian Pelangi zeigte zum Beispiel mit vier weiteren indonesischen Modemachern während der Indonesian Diversity Fashion Show, wie farbenfroh Kopftücher sein können.
Was wir daran erkennen können? Im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der ethnischen Gruppen gibt es einen eindeutigen positiven Wandel.
Das Alter spielte in der Modeindustrie schon immer eine große Rolle. Jung und formbar sollten die Mädels sein, eine selbstbewusst im Leben stehende Frau höheren Alters sieht man selten. In dieser Saison nahm die Zahl an Models über 50 deutlich zu. Von 457 Modelcastings für Printmedien wurden 14 reifere Models gecastet, was siebenmal so viel ist wie im Frühjahr 2017. Iman und Kristin Scott Thomas waren die Aushängeschilder für die handtaschenfokussierte Show von David Sims für Valentino. Die legendären Catherine Deneuve und Isabella Rossellini posierten diesen Herbst für Louis Vuitton und Sies Marjan.
Ein Thema ist nach wie vor unglaublich schwierig und gerade diese Models haben noch einen sehr langen Weg vor sich – die Transgender-Models.
Sie waren die am wenigsten repräsentierte Gruppe unter den Models in dieser Saison und auch in denen davor. Nur bei 6 der 457 Castings ging es um Transgender-Models, das entspricht nur 1,3 Prozent. Bemerkenswerte Marken wie Helmut Lang, Sisley und Philipp Plein haben dazu beigetragen, die Transgender-Sicht auf neue Höhen zu bringen.
Besonders wichtig in der Transgender-Szene ist Gogo Graham, der speziell für Trans-Frauen Kleidung entwirft. Stav Strashko war dieses Jahr nicht nur das Gesicht von Proenza Shouler und Marc Jacob, sondern auch von Sisley. Weitere namhafte Models sind Rain Dove und Casil McArthur.
Die Liste der Marken, die die Diversität der Modebranche mit ihren Models unterstützen, ist durchaus lang. Dennoch sollten einige besonders hervorgehoben werden. In den Jahren 2001 bis 2015 waren in den Kampagnen Saint Laurent’s kein einziges nicht-weißes Model zu sehen. Heute sind drei von fünf Models farbig.
Bei Stuart Vevers‘ COACH 1941-Kampagnen sind 67 Prozent der Models farbig, unter anderem Imari Karanja, He Cong, Hiandra Martinez und Selena Gomez. Auch in Christian Dior’s Herbstkampagne sehen wir 67 Prozent der Models sind nicht weiß.
Von Sisley’s gecasteten Models waren 40 Prozent farbig. Sisley legt aber besonderen Wert auf Transgender und versucht in ihren Kampagnen zu zeigen, dass das Geschlecht ein soziales Konstrukt ist. Auf ihren Werbebildern ist daher oft ein weibliches, ein männliches Transgender-Model und ein nicht binäres Model abgebildet.
Shayne Oliver, Gastdesigner bei Helmut Lang, erzählte im Februar 2017 der Vogue, dass ihm Diversität völlig gleich sei, die Hauptsache sei Glaubwürdigkeit. Dabei ist zu beachten, dass gerade die Kollektionen von Helmut Lang in Zusammenarbeit mit Shayne Oliver diejenigen sind, die die höchste Verschiedenheit an Models zeigen. Für ihn sind eben gerade die unterschiedlichsten Modeltypen die glaubwürdigsten.
Aber es gibt auch Raum für mehr: Einige Marken, wie Balmain, Sies Marjan, Simone Rocha oder Vivienne Westwood, präsentierten Kampagnen mit sechs und mehr Frauen, aber nur eine einzige war farbig.
Gerade bei Balmain ist es überraschend, dass in der Herbstkollektion nur ein farbiges Model, nämlich Grace Bol, integriert wurde und das obwohl gerade der Chefdesigner Olivier Rousteing oft auf die verschiedenen Hintergründe der Models aufmerksam macht.
In der Realität sieht es aber häufig anders aus. Sicherlich, ganz langsam nähern wir uns einer Modewelt, die beginnt über den Tellerrand zu schauen und nicht nur hellhäutige, schlanke und langbeinige Models für Werbekampagnen und Modeschauen buchen. Doch sind wir mal ehrlich, welches Gefühl bleibt, wenn wir ein H&M- oder C&A-Geschäft betreten? Alles ab Größe 44 hängt in irgendwelchen kleinen, abgegrenzten Übergrößen-Bereichen. Und die sind in der Regel nicht mal halb so gut ausgestattet und modern, wie die Abteilung für „Normalgröße“.
Doch schauen wir mal auf die Laufstege oder Werbeanzeigen der Modebranche - da ist Plus Size noch das kleinste Problem. Wie wenige nicht hellhäutige Models oder gar Transgender-Models sehen wir? Wir finden, die Modeindustrie hat noch einiges nachzuholen und sollte sich schleunigst neu orientieren. Egal ob Haute Couture oder Alltagsklamotte, jede Frau und jeder Mann sollte seine Liebe zu Mode ausleben dürfen und auch die bekanntesten Marken sollten langsam merken, dass es egal ist, welche Hautfarbe wir haben, welche Nationalität wir angehören oder welche Konfektionsgröße wir tragen – in einer immer bunter werdenden Welt sollten das auch die Laufstege und Modemagazine werden!
Unter Body Positivity versteht man Selbstliebe und eine positive Einstellung gegenüber dem eigenen Körper. Das Ziel ist es, sich von Selbsthass zu befreien und die eigene Schönheit zu erkennen, fernab von standardisierten Schönheitsidealen.
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