Recherchiert man zum Thema Lip- und Lymphödem, begegnet einem ein Name besonders häufig: Caroline Sprott. Mit ihrer offenen und fröhlichen Art fällt sie einem nicht nur bei Plus Size Events sofort ins Auge. Als Autorin und Gründerin des Blogs "Lipödem Mode - Das Leben mit Kompression" und Marketing Managerin beim Modelabel Luna Largo berichtet sie regelmäßig über ihr Leben mit Lipödem. Umso mehr freuten wir uns, als wir sie zum Interview trafen.
Im Mittelpunkt unserer Wundercurves-Interview-Kolumne stehen Betroffene, denen wir ein Sprachrohr liefern wollen, um weiter auf die Krankheiten Lymph- und Lipödem aufmerksam machen wollen.
Alle bisherigen Interviews findest Du hier:
Magst Du Dich kurz vorstellen?
Ich heiße Caroline und bin seit bald 10 Jahren mit Lipödem diagnostiziert und trage an Armen und Beinen Kompresion. Seit 2015 teile ich auf meinen Blog meine modische Eigentherapie und darf auch offline als Referentin auf Veranstaltungen anderen Betroffenen Mut machen.
Wann bekamst Du die Diagnose für Lipödem & wie kam es dazu?
Ich hatte eines Tages nach der Arbeit regelmäßig Schmerzen in den Beinen und kannte die so von mir nicht. Irgendwann wurde es so schlimm, dass ich damit zum Hausarzt ging und er mich zum Facharzt überwies. Dort wurde ich diagnostiziert. Damals wusste ich von der Krankheit noch gar nichts und war einfach nur froh, dank der Kompression etwas weniger Schmerzen zu haben.
Welche Erfahrungen hast Du bezüglich Deiner Erkrankung mit Deinem Umfeld gemacht?
Mein Umfeld hat es immer sehr gelassen aufgenommen und sogar nahezu selbstverständlich Rücksicht auf mich genommen. Das war mir als junger Mensch natürlich sehr unangenehm, so früh schon so eingeschränkt zu sein. Lange Autofahrten mussten unterbrochen werden, auf Konzerten Stehen wurde zur Qual und überall suchte ich nach Möglichkeiten, meine Beine hochzulegen. Abfällige Kommentare oder Herunterspielen meiner Krankheitssymptome kam eigentlich nie vor und wenn, dann hätte ich sie wohl auch nicht geduldet. Selbst in Sachen Sexualität und Partnersuche habe ich keine schlechten Erfahrungen gemacht. Ausstrahlung und Herzlichkeit wiegen oft sehr viel mehr als irgendwelche Dellen auf der Haut.
Du stehst häufig im Fokus der Öffentlichkeit, wie gehst Du mit Negativ-Kommentaren um?
Mit der Zeit entwickelt man ein dickeres Fell, aber wenn es jemand darauf anlegt, kann er mich natürlich verletzen. Da ich aber ein sehr diplomatischer und reflektierter Mensch bin, weiß ich sehr genau, wann ich Kritik an mich heranlasse oder sie als nicht gerechtfertigt abstempeln darf.
Viel schlimmer als negative Kommentare gegen mich finde ich ungerechtfertigte Shitstorms anderer Accounts. Dann kämpfe ich hier und da meinen kleinen eigenen Social Media Guerilla-Kampf und schreibe absichtlich das Positivste, was mir in den Sinn kommt. Diese aktuell grassierenden, uneingeschränkten und oft respektlosen Meinungsäußerungen haben für mich nichts mit Freiheit, sondern mit fehlendem Feingefühl zu tun. Da muss man hier und da einfach ein positives Gänseblümchen im Internet hinterlassen. Wenn sich mir ein paar mehr anschließen, haben wir wieder ein Stück Internet zurückgewonnen.
Was hilft Dir persönlich mentale Kraft zu sammeln?
Ich entscheide mich immer öfter bewusst für glücklich machende Zeit, statt noch eine Stunde Arbeit dranzuhängen. Sei es mit Freunden, mit dem Partner, in einem richtig gut laufenden Meeting, auf einer inspirierenden Veranstaltung – alles, was mich mit neuen Eindrücken und mich von den schwer erträglichen Aspekten im Leben ablenkt, ist wertvoller als alles andere.
Außerdem sind es die kleinen Herausforderungen im Leben, die einem erst etwas Kraft rauben und dann doppelt und dreifach für lange Zeit mit neuer Energie erfüllen. Ich arbeite eigentlich fast jeden Tag dafür, ein glücklicher Mensch zu sein. Sowas kommt nicht von selbst, sondern ist jeden Tag eine bewusste Entscheidung. Trotz oder gerade wegen der Lipödem Schmerzen. Glücksmomente sind meine Waffen gegen diese ständige Frustration.
Was würdest Du Frauen raten, die gerade ihre Diagnose erhalten haben?
Ruhe bewahren und Schritt für Schritt Antworten auf die Fragen im Sanitätshaus/beim Arzt, in Selbsthilfegruppen und über Google klären. Heute gibt es so viel mehr zugängliches Wissen und Erfahrungsberichte als vor 10 Jahren. Und da es eine chronische Krankheit ist, hat man auch erstmal alle Zeit der Welt, sich sämtliches Wissen anzueignen und ein Experte auf dem Gebiet zu werden. Die bestmögliche Therapie kann nur erfolgen, wenn man alle Optionen und Möglichkeiten auch kennt.
Die wichtigsten ersten Schritte sind eine akute Entstauungsphase, danach eine gut sitzende Kompression und vielleicht sogar der Antrag auf eine Reha. Alles sollte sich erst einmal um einen akzeptablen Ist-Zustand drehen, bevor man sich direkt auf die Liposuktionen versteift. Diese können leider nicht alle Probleme lösen.
Hast Du vielleicht durch Deine Arbeit Zahlen, wie viele Betroffene es in Deutschland gibt und eventuell wie viele jetzt von dem Gesetz eine Chance haben?
Es gibt die unterschiedlichsten Zahlen, von 1 über 3 Millionen bis hin zu "jede 10. Frau", die betroffen sein soll. Aufgrund einiger kritischer Parameter, wie das Stadium, der BMI-Grenze und die ganze bürokratische Abwicklung ist die praktische Umsetzung des neuen Gesetzes noch nicht wirklich umsetzbar. Wir befinden uns gerade in einem Schwebezustand, der erst einmal geklärt werden muss.
Was hat sich seit der Gesetzesänderung für Betroffene geändert? Wo siehst Du Chancen, wo Schwächen?
Noch hat sich nicht viel geändert, bis auf dass Freud und Leid sehr nah beieinander lagen. Die Hoffnung auf Entlastung durch die OPs für Frauen mit Stadium 3 ist sehr wichtig, doch leider macht die BMI-Grenze vielen einen Strich durch die Rechnung, denn Adipositas ist oftmals eine Begleiterscheinung des Lipödems (ca. 70% der Betroffenen haben Übergewicht) und im hohen Stadium sind eben auch heftige Ausmaße vertreten, denen quasi die Tür vor der Nase zugeschlagen wird. Es ist jedoch auch verständlich, dass das Gewicht bei so schwerwiegenden Operationen in Sachen Risiko eine Rolle spielt. Jedoch wäre hier die Hip-to-Waiste-Variante die bessere Wahl gewesen, da der BMI nichts über die Verteilung des Gewichtes aussagt.
Auch darf es bei Stadium 3 nicht aufhören, sondern ich wünsche mir irgendwann eine gleichberechtigte operative Therapie des Lipödems. Ich bin jedoch stets vorsichtig, was die Rechnung betrifft, dass man nach den Liposuktionen keine Therapie mehr benötige. Das kann einem schlichtweg niemand garantieren und selbst spätere durch Hormonumschwankungen verursachte Schübe können ebenso auftreten und der Spaß beginnt wieder von vorne. Uns fehlen einfach Langzeiterfahrungen von mehreren Jahrzenten, das lässt uns im Dunkeln tappen.
Welche modischen Tipps hast Du für Frauen, die auf Kompressionen angewiesen sind?
Versteckt Euch nicht, die Kompression ist nur Stoff. Keine Blicke und kein unangebrachter Kommentar darf euch die Freiheit nehmen, zu tragen, worauf Ihr Lust habt. Wenn Ihr Spaß an Farben habt, dann geht dem nach und habt keine Angst, dass Ihr jedes Mal Euren Kleiderschrank ummöbeln müsst. Basic Outfits sind schnell mit farbiger Kompression kombiniert, wenn Ihr einfach nur ein Accessoire zu der Farbe kombiniert. Schmuck, Handtasche, Schal, Schuhe … Wenn nur ein Element die Farbe wieder aufgreift, ist der Look schon perfekt!
Hast Du Tipps für besonders heiße Tage?
Sprüht Wasser auf Eure Kompression, so frischt es beim kleinsten Windhauch sofort auf! Manche tauchen auch Ihre Füße in kaltes Wasser, z. B. im Büro. Außerdem bin ich ein großer Fan von offenen Schuhen im Sommer. Ich würde womöglich sonst einfach nur eingehen. Es steht in keiner Modebibel, dass Strümpfe in offenen Schuhen nicht erlaubt seien!
Hast Du besondere Lieblingsmarken, bei denen Dein Mode-Herz hüpft?
Meine beiden Lieblingsmarken sind die englische Marke Boden und Luna Largo, das erste deutsche Modelabel für Frauen mit Lipödem. Boden lässt mein Herz mit den klassischen Schnitten und frischen Mustern höher schlagen und die Hosen von Luna Largo sind die bequemsten der Welt, gerade für Kompressionsträgerinnen. Ich gehe nirgendwo ohne meine Lieblingsjeans hin. Ich werde auch immer mehr ein Freund von Second Hand Mode. Wenn man das Glück hat, gute Läden in der Umgebung zu haben, macht mir das Stöbern viel mehr Spaß, als in den Massen normaler Geschäfte.
Machst Du gern Sport? Was kannst Du besonders empfehlen?
Sport sorgt für ein besseres Körpergefühl und am liebsten gehe ich Joggen. Dafür braucht man nicht viel, kann direkt zu Hause duschen und vor allem muss man nicht schnell sein, damit es effektiv ist. Ansonsten liebe ich Langhanteltraining und Yoga. Besonders für Lipödem Mädels und eigentlich alle anderen auch ist Trampolinspringen das spaßigste, was es gibt. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass das Training auf dem Trampolin die Stimmung aufhellt und der Muskelkater hält sich in Grenzen, obwohl alle Muskeln (selbst die im Ohrläppchen) perfekt trainiert werden.
Wie sieht es außerdem mit Ernährung aus? Gibt es ein Lieblingsessen, das alle Deine Schmerzen vergessen lässt?
Über Lasagne und Milchreis geht gar nichts! Man kann es nicht unbedingt gleichzeitig essen, aber wenn man Essen heiraten könnte, wüsste ich nicht, für welches von beiden ich mich entscheiden sollte.
Ich möchte jedoch bald mich endlich wieder dem Kaloriendefizit widmen und dafür die LowCarb Ernährung probieren. So, wie ich die Erfahrungsberichte und Arztmeinungen wahrnehme, sind Kohlenhydrate und Zucker eigentlich die größten Gegner der gegenwärtigen Nahrungsaufnahme und wahrscheinlich auch eben nicht gut fürs Lipödem.
Wir danken Caroline für dieses ehrliche und spannende Interview!
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