Immer mehr Frauen sind mit der Diagnose Lip- sowie Lymphödem konfrontiert. Unsere Wundercurves Interview-Kolumne möchte auf diese Erkrankungen aufmerksam machen, um Betroffenen ein Sprachrohr zu liefern! Deswegen stellen wir Dir hier in regelmäßigen Abschnitten Menschen vor, die auf unterschiedliche Weise von den Erkrankungen berührt sind. ♥
Alle bisherigen Interviews findest Du hier:
Anja, einer Bloggerin, die auf ihrem Blog "Mein Lipödem und ich" über ihr Leben mit Lipödem, ihrer Lipsuktion, den damit einhergehenden Rechtsstreit mit der Krankenkasse sowie ihre Schwangerschaft berichtet, hat sich netterweise bereit erklärt, uns Rede und Antwort rund um das Lipödem und ihren Erfahrungen damit zu stehen.
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich"
Hallo, liebe Anja! Ich freue mich riesig, Dich endlich auch persönlich zu treffen und dass Du bei unserer Kolumne mitmachst. Magst Du Dich vielleicht kurz vorstellen?
Anja: Ja, also ich bin Anja. 28 Jahre alt und Mama einer kleinen Tochter. Und natürlich Lip-Lymphödem-Patientin. Ich habe also nicht nur ein Lipödem, sondern als Folge daraus auch ein sekundäres Lyphödem.
Ich schreibe schon seit nun 3 Jahren über mein Ödem und alle schönen sowie nervigen Seiten, die damit einhergehen. Die Diagnose Lipödem habe ich bereits im Oktober 2011 erhalten und bin zeitnah in den Lipödem Hilfe Deutschland e.V. eingetreten, da mir die gemeinsame Hilfe und Unterstützung sehr wichtig ist.
Bis ich meine Diagnose erhalten habe, vergingen leider auch bei mir ein paar Jahre. Abgestempelt wurde man immer als zu undiszipliniert und einfach adipös. Eine Abnehmkur folgte der anderen - mein Gewicht war eine einzige Achterbahn – auf und ab.
Aber am Ende stets schleichend bergauf und das in der wohl wichtigsten Phase eines jeden jungen Mädchens – der Pubertät. Man hat schon genug mit den körperlichen Veränderungen zu kämpfen und ist mit den Hormonen völlig überfordert.
Und nichts scheint in der Zeit wichtiger als die körperliche Entwicklung, da man sich immer mehr mit sich selbst identifiziert und oft die ersten Beziehungen beginnen.
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich" im Interview bei Wundercurves
Deine Diagnose kam also wie so oft zu spät. Woran liegt das?
Anja: Gute Fachärzte gibt es nur wenige, aber da hatte ich bislang immer Glück. Auch wenn mein erster Facharzt mir mehr als unsympathisch war – er sagte, was Fakt war, half mir bei Verordnungen, ermöglichte mir schnell eine Entstauungskur (Bemerkung: Eine Behandlungsmethode, um angestaute Flüssigkeiten aus dem Gewebe über die Lymphgefäße abzubauen und verhärtetes Gewebe zu lockern), verhalf mir zu einem Lymphapress (Bermerkung: Ein Heimtherapiegerät zur Behandlung von Lymph- und Lipödem).
Seitdem das Lipödem immer bekannter wird sprießen vermeintliche Fachärzte nur so aus dem Boden, daher kann und möchte ich jedem anraten, sich genau zu informieren. Viel zu schnell wird mittlerweile die Diagnose Lipödem gestellt und oft hat man gar keins.
Zweitmeinungen sind daher nicht verkehrt, dies gilt auch, wenn man an einen „Fachidioten“ geraten ist, der einem die Diagnose nicht stellt, wenn man sehr offensichtlich Lipödem hat. Bei der Suche eines richtigen Facharztes hilft eben auch unser Verein.
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich"
Ich dürfte mir schon einige dumme Kommentare anhören, weswegen ich Aufklärung als sehr wichtig ansehe. Musstest Du schon ähnliche Erfahrungen machen?
Anja: Neben all den körperlichen Schmerzen, glaube ich, sind die seelischen Schmerzen, die die Krankheit oft unweigerlich mit sich bringt, manchmal die schlimmeren.
Nicht nur, dass man sich selbst als fremd vorkommt, ja gar hässlich empfindet. Nein, die Hänseleien von der Gesellschaft in jeglicher Form nagen sehr an einem und hinterlassen jahrelange unsichtbare tiefe Spuren und Narben.
Das Schlimmste für mich war aber nicht ein dummer Kommentar, denn die meisten Sprüche hat man sowieso schon oft genug gehört, dass sie gut abprallen.
Nein, das Schlimmste, was mir passierte, ist, dass ich am Tag unseres Umzuges vor einem Supermarkt von jemanden direkt angespuckt wurde mit den Worten: „Boar bist du hässlich“. Worte sind das eine, aber körperliche Handlungen überschreiten einfach nochmal ganz andere Grenzen.
Ebenso musste ich in Liebesdingen oft die Erfahrung machen, dass man rein aus optischen Gründen keine Beziehung mit mir einging, weil man mich nicht der Familie oder den Freunden als „meine Freundin“ vorstellen konnte.
Diese Erfahrungen gehören vielleicht zu den schlimmsten Dingen neben der Diagnose.
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich"
Wie sieht es im Internet aus? Du bist ja durch Deinen Blog automatisch eine öffentliche Persönlichkeit.
Anja (lacht): Naja - als eine öffentliche Persönlichkeit würde ich mich direkt nicht bezeichnen, auch wenn mein Name in der Lipödemszene oft kein unbekannter ist und ich auf Lipödemtreffen immer direkt erkannt und angesprochen werde als „Die Bloggerin“ – Da muss ich immer schmunzeln.
Mein Blog hat mir bei meiner Verarbeitung der Diagnose enorm geholfen. Auch wenn die Diagnose eine Erleichterung war, da man nun endlich weiß, was los ist, bin ich in ein tiefes Loch gefallen und habe Monate gebraucht, dieses „Schicksal“ anzunehmen.
Informationen gab es damals kaum, auch gab es noch nicht so eine große Community, geschweige denn die unzähligen Lipigruppen auf Facebook. Ich wollte anderen Frauen das geben, was mir gefehlt hat – Informationen.
Und nichts fängt einen besser auf als eine persönliche Geschichte, mit der man sich identifizieren kann. Unzählige E-Mails habe ich seit dem bekommen mit Zuspruch und Danksagungen mit so vielen lieben Worten. Viele, die kurz vor dem Aufgeben waren, haben durch meine Zeilen Mut gefasst: Mut zu kämpfen und eben nicht aufzugeben. Und so etwas zu lesen, berührt mich noch immer. Ich meine, dass ich durch meine Zeilen so viel erreichen und bewegen kann. Mittlerweile sprießen ja auch hier überall neue Blogger aus der Erde und das ist auch gut so.
Jede Form der Aufklärung brauchen wir, da noch immer die Krankheit oft nicht anerkannt ist. Aber ich denke, meine Zeit als Bloggerin ist so langsam vorbei.
Durch Lotte - meine Tochter - mein Studium, den monatelangen Rechtsstreit um einen Kitaplatz und den damit nun verbundenen anstehenden Umzug von Leipzig zurück nach Thüringen fehlt mir einfach die Zeit, mit Herzblut am Blog zu arbeiten, obwohl mir so viele tolle Themen durch den Kopf gehen, die nur darauf warten, niedergeschrieben zu werden.
Du bist selbst betroffen oder sonst in einer Art mit dem Thema konfrontiert und bereit, über Deine Erfahrungen (natürlich ganz nach Deinen Regeln) zu sprechen?
Dann melde Dich gerne unter:
interview@wundercurves.de
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich"
Na, das Pause machen muss ja auch gelernt sein und wer weiß, wo es Dich mit Deinem Blog noch hin verschlägt. Was hat Dir denn besonders geholfen? Welchen Rat gibst Du Frauen, die gerade ihre Diagnose erhalten haben?
Anja: Jeder Frau, die jetzt die Diagnose erhält, würde ich erstmal raten: Durchatmen! Und dann ganz in Ruhe informieren und das nicht nur auf einer Webseite, sondern auf vielen. Genauso wie bei den Ärzten. An alle da draußen: Holt Euch Zweit- oder Drittmeinungen ein! Im Netz gibt es viele Infos. Sei es mein oder die vielen anderen Blogs, seien es die Infovideos von Stephie auf YouTube und auf unseren Vereinsseiten.
Denn was zu beobachten ist und was mir oft geschrieben wird, ist, dass man letzte Woche die Diagnose erhalten hat und sofort sich entschieden hat, sich operieren zu lassen. Ich finde, auch wenn die konservative Therapie auf lange Sicht keinen Erfolg hat und man mit den Operationen nicht ewig - und hier spreche ich von mehreren Jahren - warten soll, sollte man auch erstmal diesen Weg gehen. Sich mit der Thematik Kompressionsbestrumpfung, manueller Lymphdrainage und gesunder Ernährung auseinander setzen.
Eine Operation ist nicht für jeden geeignet und auch kein Allheilmittel. Dazu kommt, dass viel zu oft falsche Informationen geteilt und verbreitet werden und dass man diese nur schwer aus dem Netz herausfiltern kann, sodass eben eine umfangreiche „Recherche“ wichtig ist, um genau die Krankheit zu verstehen und das Richtige für sich zu finden. Meiner Meinung nach sollte man sich auch mit anderen Betroffenen austauschen, denn nichts ist gewinnbringender, als aus erster Hand Informationen zu erhalten.
Umso schöner, dass Du heute so aus dem Nähkästchen plauderst mit Deinen Erfahrungen. Was uns natürlich bei Wundercurves interessiert: Mode!
Und bei der diesjärhigen Hitze und dem ständig wechselnden Wetter momentan ist es ja schon schwierig genug, das Richtige aus dem Kleiderschrank zu fischen. Welche Tipps hast Du für das Tragen der Kompression an heißen Tagen?
Anja: Oh ja die Hitze und die Kompression – furchtbar und das fällt auch mir nach all den Jahren immer noch schwer. Umso wärmer es wird, umso größer ist das Verlangen, die Kompressionswäsche aus dem Fenster zu werfen… Aber genau jetzt sind wir besonders auf sie angewiesen! Was mir hilft, ist tatsächlich, die Kompressionswäsche etwas feucht zu halten, nachdem ich sie bereits angezogen habe.
Dafür reicht eine einfache Sprühflasche mit Wasser aus, mit der man die Strümpfe leicht nass sprüht. Wenn man dann noch einen Ventilator unter dem Arbeitstisch hat, dann ist die Kombination aus beidem einfach gigantisch.
Auf meinem Blog habe ich dazu mal einen ganzen Beitrag geschrieben. Sobald ich zu Hause bin, ziehe ich sie aber dann selbst auch aus, lege die Beine hoch oder gehe im See baden.
Tipps für die heißen Tage im Büro:
- Kompression trotzdem regelmäßig tragen und viel Wasser trinken (je nach Körpergewicht bis zu 3-4 l)
- Morgens medi day gel mit Rostkastanie in die Haut massieren, einwirken lassen, dann erst Kompression anziehen
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- Über den Tag das medi fresh Spray mit Menthol direkt auf die Kompression geben
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- Wenn man Menthol nicht mag, einfach eine Sprühflasche mit kaltem Wasser nutzen
- Fußhängematte oder kleinen Gymnastikball für unter den Schreibtisch, damit Du Deine Beine mehr bewegst im Sitzen und sie hochlegen kannst
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- Stehschreibtische oder höhenverstellbare Schreibtische
HÖHENVERSTELLBARE SCHREIBTISCHE BEI AMAZON
- Miniventilatoren auf oder unter dem Tisch
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- Der Klassiker: Kaltwasserbad unter den Schreibtisch und immer wieder die Arme mit kaltem Wasser abwaschen
Gibt es absolute Lieblingsmarken, bei denen Dir das Herz aufgeht und die Du an alle Lippi-Mädels empfehlen kannst?
Anja: Oh, ein Markentyp war ich noch nie, vielleicht auch deswegen, weil die beliebten Marken nie in unseren Größen produziert haben und ich so mit den anderen nie miteifern konnte. Außerdem widersprechen mir horrende Preise, denn die meisten Hosen hielten aufgrund der dicken Beine eh nur eine kurze Zeit, da wären teure Hosen einfach nur herausgeworfenes Geld.
Ich beziehe meine Kleidung oft von bonprix oder urban classic. Ich bin also da absolut keine „Modequeen“, aber das stört mich auch nicht. Mode ist für mich nicht so wichtig, wie beispielsweise der lieben Caroline von Lipödemmode. Ich finde es faszinierend, wie manche Menschen darin so kreativ aufgehen und sich damit identifizieren. Für mich muss es einfach gut aussehen und meine Rundungen soweit wie möglich kaschieren. Ich trage daher liebend gern schwarz.
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich" zu Besuch bei Wundercurves
Wie sieht es bei Dir mit Sport aus? Gibt es etwas, das Du regelmäßig machst? Und was kannst Du besonders empfehlen?
Anja: Ich bin - bevor ich Mama wurde - sehr regelmäßig schwimmen gegangen, dazu noch täglich kilometerweite Runden mit meinem Hund gelaufen und hab aktiv Badminton gespielt.
Schwimmen kann ich als Sportart für uns Lipödem- und Lymphödempatienten nur empfehlen, denn es ist eine natürliche Lymphdrainage, die gleichzeitig ganzheitlich arbeitet. Seit dem meine kleine Maus Lotte auf der Welt ist, ist vieles einfach hinten runter gefallen. Die Zeit fehlt vorn und hinten, zumal ich eben nebenbei noch studiere und manchmal einfach froh bin, die Beine hochzulegen und dem Schlafdefizit entgegen zu wirken. (lacht) Aber ich denke, dass das in den kommenden Wochen und Monaten auch alles wieder besser wird.
Anja von dem Blog "Mein Lipödem und ich" im Gespräch mit unserer Wunderkurve Lea
Wie sieht es außerdem mit Ernährung aus? Gibt es ein Lieblingsessen, das alle Deine Schmerzen vergessen lässt?
Anja: Auf die Ernährung sollte man sehr achten, denn auch wenn Lipödem nicht durch Sport und Ernährung beeinflussbar ist, kann man mit gesunder Ernährung sich und seinem Körper etwas Gutes tun.
Lipödem ist kein Freifahrtsschein für maßloses Essen. Denn viele haben neben Lipödem auch eine begleitende Adipositas - genau wie ich.
Natürlich gönne auch ich mir mal was und da, glaube ich, ist Sushi genau das richtig, um die Seele mal zu streicheln. Aber ansonsten vermeide ich es, mich mit Essen „zu belohnen“, denn das ist meiner Meinung nach der falsche Ansatz.
Vielen Dank, liebe Anja. Das war ein sehr interessantes Gespräch! Ich und Wundercurves wünschen Dir - mit oder ohne Blog - noch alles erdenklich Gute.
Du möchtest selbst aktiv werden oder mehr wissen? Es gibt Gruppen bei Facebook, Blogs und Vereine. Einen kleinen Überblick findest Du hier. Denn die Hilfe, die uns so oft von Ärzten und ähnlichen Stellen fehlt, schaffen wir uns einfach selber!
Und eins ist sicher: Verstecken müssen wir uns trotz Kompression sicherlich nicht. Finde also bei Wundercurves farbenfrohe und raffiniert geschnittene Kleider zum Kombinieren zu Deiner Kompression: