Vielleicht wart auch Ihr schon an einem Punkt in Eurem Leben, an dem Ihr gedacht habt, jetzt und hier muss ich etwas ändern. Ich hatte diese Punkte schon oft. Sei es, dass ich endlich mal wieder abnehmen wollte, eine neue berufliche Herausforderung, nochmal die Schulbank drücken. Ich habe das alles schon durch. Und trotzdem war ich mit 35 Jahren an einem Punkt, an dem ich mich fragte, ob das alles gewesen sein soll. Die Erkenntnis kam nicht von heute auf morgen, sie hat sich einfach so in mein Leben geschlichen. Irgendwas fehlte einfach.
Elli & Silvio
Denn irgendwann wurde mir klar, dass ich mein Leben nicht mehr zusammen mit meinem Mann führe, sondern mein eigenes Parallelleben aufbaue. Ich ging alleine zum Sport, alleine mit Leuten aus und eigentlich lebten wir nur noch in einer WG. Gefühle blieben auf der Strecke. Und einige Zeit fiel mir das gar nicht auf. Es fiel mir sogar nicht mal auf, als sich Silvio in mein Leben schlich - langsam und unauffällig.
Wir spielten beide ein Handyspiel und da ich nicht so wirklich weiterkam, suchte ich Support in einer Facebookgruppe - er auch. Und irgendwie fiel er mir auch gleich durch seine Art ins Auge. Schnell hatten wir einen Gruppenchat mit anderen und ziemlich viel Spaß bei unseren Gesprächen. Allerdings war mir eines sonnenklar: Der Typ kann mich nicht leiden. Er war nämlich vor allem eines: motzig und schlecht gelaunt. Aber auch sarkastisch und mit ganz besonderen Humor ausgestattet. Und geheimnisvoll. So wie ich es mag.
Und wenn Menschen eine Herausforderung sind, dann werden sie für mich erst recht interessant.
Nach ein paar Monaten war ich geschäftlich in Berlin und wir trafen uns zu viert auf einen Cocktail. Ich weiß noch wie kaputt ich nach der Arbeit war und wie unglaublich erstaunt, dass er es war, er, der mich nicht leiden konnte, der den Vorschlag machte, dass wir uns treffen. Er war auch viel freundlicher als online, wenn auch nicht zu freundlich, eher abwartend und beobachtend. Ich war natürlich charmant und freundlich wie immer 😉 Und irgendwie schien das Eindruck gemacht zu haben, denn über die ein oder andere Ecke erfuhr ich dann, dass er es nicht so schlimm fände, wenn ich mal wiederkomme. Schlimmer Fehler, denn mein Jagdinstinkt war geweckt. Das war Ende August und fünf Monate vor unserem zweiten Treffen. Und eine unglaublich zähe Zeit. Denn eigentlich war mir eines relativ schnell klar: Ich will den Kerl für mich gewinnen!
Das ist aber alles nicht so einfach, wenn sich die andere Seite so rar macht. Schließlich war die Situation ja auch nicht gerade einfach, denn a) war ich noch verheiratet und b) wohnte ich auch noch am anderen Ende der Republik. Und wollte mir einen Typen angeln, der vor allem eines war: wortkarg, grumpy und absolut unempfänglich für all meinen Charme und Anmut. Flirtversuche über WhatsApp wurden im Keim erstickt, nur im Gruppenchat hatte ich überhaupt noch Chancen auf Kontaktaufnahme. Und ganz selten mal, kam auch was zurück bei dem ich mir dachte: "Hmmm, vielleicht steht es doch nicht so schlecht um mich?!" - Zuckerbrot und Peitsche.
Kennt Ihr das, wenn Ihr etwas unbedingt haben wollt, je mehr es Euch herausfordert?
Endlich war es Januar und die Fashionweek Berlin stand an. Dafür hatte ich mir ein Zimmer in Kreuzberg gemietet in dem ich den ersten Abend dann saß – und einen Entschluss fasste. Ich fahre zu ihm bzw. wollten wir uns wieder zu viert treffen bei seiner Halbschwester. Natürlich wäre ich nicht ich, wenn an diesem Abend nicht wieder alles schiefgelaufen wäre, was nur schieflaufen kann. Vor lauter Aufregung habe ich mir nach einem Jahr Abstinenz sogar wieder eine Schachtel Zigaretten gekauft – und in nur einer Nacht komplett weginhaliert.
Spät am Abend kam ich dann also in diesem „Dorf“ an, das nur ein paar Monate später mein neues Zuhause werden sollte. Daran dachte ich zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Eigentlich dachte ich mir den ganzen Abend nur: „Du blöder Arsch, jetzt setz dich endlich zu mir!“. Irgendwann waren nur noch wir beide wach, die anderen beiden schon im Bett – und wir redeten wirklich die komplette Nacht.
Ja, genau dieser wortkarge Typ, war auf einmal freundlich, gesprächig, ein bisschen charmant – und saß leider noch immer viel zu weit weg von mir. Es stellte sich heraus, dass meine Annahme, er könne mich nicht leiden, einfach nur Einbildung gemischt mit ein bisschen Taktik waren. Und spätestens als sich die Frage stellte, wo man jetzt noch ein paar wenige Stunden Schlaf findet, war mir dann auch klar, dass hier gerade etwas passiert, dass wirklich noch sehr kompliziert werden könnte.
Der nächste Tag auf der Fashionweek war der Auftakt zu einer Woche, die emotional und körperlich für mich eine absolute Achterbahnfahrt war. (Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich mit Chris von Chlencherei beim Hashmag Bloggerevent über einem Teller Häppchen saß und zum nervlichen Wrack mutierte. Er antwortete den ganzen Tag nicht. Und im selben Moment beschaffte sich jemand Zugriff auf mein Facebookkonto. Und es dauerte über eine halbe Stunde, bis ich wieder Herr über meinen Account war. Zu lange, wie sich herausstellte, aber dazu später mehr…). Und körperlich, weil diese aufreibende Woche fast ausschließlich aus Alkohol und Zigaretten und keiner festen Nahrung bestand. Emotional, weil ich in einer wirklichen Klemme war. Schließlich war ich verheiratet. Und nun wartete ich wie ein 15-jähriger Teenager auf eine Antwort eines Typen, der mir vollkommen den Kopf verdreht hatte, mir nicht zurückschrieb und mich dazu brachte, einfach alles neu zu überdenken.
Lange Rede, kurzer Sinn: Die Antwort kam. Die Antwort führte dazu, dass wir etwas begannen, was ich „in meinem Alter“ nicht mehr für möglich gehalten hatte und mir zeigte, was mir eigentlich in den ganzen Jahren zuvor gefehlt hatte. Es folgten Wochen, die nicht emotionaler, leidenschaftlicher und schöner hätten sein können. Was als Affäre begann, stellte sich relativ schnell als etwas viel Tiefergehendes heraus, das merkte ich, sobald ich zu Hause war und wir nächtelang durchschrieben. Wir öffneten uns dem anderen komplett und mir war ganz schnell klar – ich muss da wieder hin!
Und ich ging wieder hin. Wir saßen nächtelang auf dem Sofa, sahen die Sonne unter- und wieder aufgehen, kuschelten, redeten, weinten, lachten. Geständnisse und seelische Abgründe, Wodka Bull und Zigaretten, es lief ein Film nach dem anderen, ohne dass wir auch nur eine Dialogzeile davon mitbekommen hätten. Es waren Nächte, die keinen Sex brauchten, um einzigartig zu sein.
Und trotzdem war da ja noch ein Punkt, der nicht zu vernachlässigen war. Denn in meinem Zuhause saß jemand, mit dem ich noch reinen Tisch machen musste. Unfreiwillig wurde dies beschleunigt… Denn leider gibt es ja immer Menschen, die sich in anderer Leute Leben einmischen müssen. Und so war es dann einer dieser Menschen, der sich Zugriff auf unsere Facebookkonten verschaffte, Chats las und anschließend meinen Mann „warnen“ wollte - anonym selbstverständlich. Vor der untreuen Ehefrau, die sich auf sogenannten Geschäftsreisen ganz anderen Geschäften widmet. Möge sich diese Person noch heute darüber ärgern, dass sie uns mit dieser Nachricht eigentlich nur einen Gefallen getan hat😊.
Wie beendet man nun also ein Versteckspiel möglichst kurz und schmerzlos? Keine Ahnung, denn ich konnte es weder kurz noch schmerzlos. Ich war jemand, der fast zwei Monate lang nicht den Mut hatte, reinen Tisch zu machen. Jemand, der zwei Leute hinhielt, aus Angst vor Konsequenzen. Aus Angst, das Leben aufzugeben, das ich führte. Das zwar langweilig, aber auch sicher war. Also wie trifft man die richtige Entscheidung? Die solide aber leidenschafts- und irgendwann auch emotionslose Ehe nach 10 Jahren aufzugeben mitsamt dem ganzen Leben, das man sich aufgebaut hat? Wo aber Gefühle kein Zuhause mehr haben?
Auf der anderen Seite das, was einem so richtig erscheint, wohin das Herz anfängt sich zu verirren, was einen dazu bringt, tatsächlich alles in Frage zu stellen. Weil dort die ganz großen Gefühle passieren. Aber nochmal von vorne anfangen? Mit 35 Jahren?
Silvio und ich sahen uns fast sechs Wochen nicht und diese Zeit war schrecklich. Wir schworen uns, dass das nie wieder vorkommen wird. Wann genau wir den Schritt von der Affäre zur Beziehung gegangen sind, weiß ich gar nicht mehr genau. Aber es muss irgendwann in diesen sechs Wochen gewesen sein.
In meiner Heimat fing alles an, mich zu erdrücken. Die Stadt erdrückte mich, die Menschen erdrückten mich. Immer öfter flüchtete ich mich nach Berlin. Aufgrund meines Jobs funktionierte das recht gut, aber eben auch nicht immer. Und irgendwie wurde alles komisch. Mir war ständig übel. Meine Brüste explodierten. Und ich war soo müüüüdeeeee…
Als Ende April, nur drei Monate nachdem das mit uns begann, der Schwangerschaftstest einen Strich zuviel zeigte, brach alles über mich herein. Was eigentlich nach drei Wochen Überfälligkeit klar war, aber nicht klar sein sollte, war dann plötzlich doch ein Thema. Und recht schnell beschlossen wir: Es ist keine Katastrophe. Es ist gut so wie es ist. Denn wir schaffen das - gemeinsam.
Und es führte dazu, dass sich all meine Pläne plötzlich konkretisierten. Ich musste weg aus Stuttgart. Ich musste in der Nähe von Berlin ein neues Leben beginnen. Plötzlich hatte ich den Mut und die Kraft, alles in die Hand zu nehmen. Wir fanden recht schnell eine gemeinsame Wohnung, obwohl ich eigentlich erstmal den Plan hatte, alleine zu wohnen. Und es war genau das Richtige.
Leider kam unsere Sophia zu früh auf die Welt. Zu früh, um zu überleben. Es war eine Katastrophe für uns. Aber die Schwangerschaft hat dafür gesorgt, dass wir uns unserer Sache ganz sicher wurden. Dass wir klare Verhältnisse geschaffen haben. Und dass ich, die nie Kinder wollte, plötzlich gemerkt habe, was mir unterbewusst immer gefehlt hat. Nämlich eine eigene kleine Familie.
Und nur vier Monate später hat sich ihre kleine Schwester auf den Weg gemacht, die hoffentlich Mitte August auf die Welt kommen wird und meinen Bauch gerade in ein Kickboxstudio verwandelt. Vielleicht sogar genau zwei Jahre nachdem Silvio und ich uns das erste Mal getroffen haben. In einer Cocktailbar in Berlin, ohne Hintergedanken, ohne Absichten.
Und vielleicht war genau das der Punkt. Wir hatten nie einen Plan. Wir haben alles auf uns zukommen lassen. Erst widerwillig, haben wir uns irgendwann treiben lassen und somit die große Liebe gefunden. Vielleicht hatten wir nie einen Plan, aber ich glaube das Leben hatte ihn - von Anfang an.